Indien

km 21691 Indien, Ayurveda Kur in Thrivandrum

Wir landen morgens um halb 9 in Thiruvananthapuram (oder kurz Thrivandrum) fast an der Südspitze Indiens. Nach der langen Reise durch die Mongolei und dem anschließenden Kurztrip nach Peking sind drei Länder in vier Tagen im ersten Moment schon ein kleiner Kulturschock. Am Flughafen angekommen fällt uns als erstes auf, dass die Inder eine 100%-Schnurrirate haben. Ich entscheide mich spontan, zumindest für die nächsten Wochen nun auch mal meinen spärlichen Bart sprießen zu lassen. Ein bisschen Integration kann ja nie schaden..
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Die Inder machen ja ansonsten einen sehr freundlichen ersten Eindruck und lächeln im Gegensatz zu den Chinesen wieder viel mehr. Nach einer kurzen Fahrt kommen wir also an, im Zuhause der nächsten drei Wochen: unserem Ayurveda Tempel der Selbstfindung und –reinigung.

Nach Russland, der Mongolei und China ist es jedenfalls mal wieder sehr angenehm, dass man mit den meisten Leuten wie selbstverständlich Englisch reden kann.

Der Manager erklärt uns, wie die nächsten Tage ablaufen, dass am nächsten Tag unser Gespräch mit dem Arzt sein wird und wir bereits vormittags für unsere erste Massage abgeholt werden. Ich bin ja ein totaler Frischling, wenn es um das Thema geht, also versuche ich so vorbehaltslos wie möglich an die Sache ranzugehen. Zumindest gewöhne ich mich schon mal an den Gedanken, statt von einer hübschen indischen Schönheit die nächsten drei Wochen von einem schnauzbärtigen Inder behandelt zu werden. Denn wir machen ja eine echte Panchakarma Ayurveda Kur, statt einer der viel angebotenen Wellness-Varianten. Es wird also nicht nur ein reiner Spass, sondern teilweise wohl auch mal ne mehr oder weniger harte Prüfung. Neben dem eigentlichen Zweck der Reinigung und Heilung hofft Jasmin vor allem auf Besserung ihrer chronischen Sehnenscheidenentzündung. Ich hab für mich drei weitere Ziele:

  • auf Kaffee, Alkohol und vor allem Zigaretten zu verzichten
  • den leichten Ranzen in seine Schranken weisen
  • viel Lesen und Schreiben

Unsere Unterkunft ist ein schönes, kleines Häuschen mit Palmblattdach, grossem Bett, Terrasse mit Liegestühlen direkt an einem langsam vor sich hinplätscherndem Fluss. In dem kleinen Garten vor unserer Terrasse sind zwischen den hohen Kokospalmen ein paar Hängematten gespannt, was das Ganze schon recht paradiesisch scheinen lässt.
Gegen 11 holt mich Ranschid (oder so) zum ersten „Treatment“ ab, ein – wie nicht anders zu erwarten – schnauzbärtiger, aber symphatischer Inder mit leichtem Ranzen. Auf der Massageliege in einem recht schönen Behandlungszimmer steht bereits ein ganzes Tablett voller Öle, Gewürze, Cremes und Salben. Im Eck ist mit einem Vorhang ein „Umkleidebereich“ abgehängt, dort soll ich den Bademantel ablegen. Gänzlich nackt stelle ich mich nun vor den Inder, der mir mit einem weißen stoffstreifen und einem Stück Schnur einmal vom Bauchnabel bis zum Hintern wenigstens wieder das Wichtigste verdeckt. Aber angezogen fühlt man sich mit dem dünnen Hauch von nichts auch nicht wirklich. Egal, ich versuche meine westliche Restscham nun gänzlich abzulegen und das Ganze als eine medizinische Behandlung zu sehen.

Begonnen wird im Sitzen auf einem Hocker, mit den Füssen in einem warmen, mit Gewürzen geimpften Fussbad. Meine Kopf und Nacken wird nach und nach mit Öl getränkt und sicher alleine schon 20 Minuten mit unterschiedlichen Techniken massiert und durchgestrubbelt. Man darf allerdings nicht homophob sein, um den nächsten Teil auch noch genießen zu können. Denn bäuchlings liegend auf der Matte wird der Stoffstreifen am Hintern entfernt, so dass man eigentlich gänzlich nackt da liegt. Und nun wird man erst so richtig von Kopf bis Fuß eingeölt. Der Flori wäre wahrscheinlich spätestens hier schreiend von der Liege gesprungen. Ich versuche einfach, mir die weibliche, indische Schönheit in meinen Gedanken vorzustellen und versuche die insgesamt 1.5h lange Massage dennoch zu geniessen. Nachdem das ja ohnehin noch drei Wochen so weitergehen wird, muss ich das ja eh irgendwie schaffen. Ich nicke währenddessen immer wieder mal  kurz weg, was nach dem wenigen Schlaf nach der Fiegerei in der Nacht auch kein Wunder ist.

Im Anschluss an die Massage kommt noch etwas noch intimeres als die Massage selbst, denn ich werde von einem anderen, jungen Inder im Nebenraum von dem ganzen Öl mit großen Kellen heißen Wassers, mit viel Seife und einem Schrubber befreit. Ich wurde sicherlich noch nie so intensiv abgeschrubbt und garantiert noch nicht von einem andere Mann (also alles, außer den wichtigsten Teile, da lassen sie ja dann doch glücklicherweise die Hände weg). Jedenfalls fühle ich mich nach dem Ganzen wie neu geboren und somit ist das ja mal ein interessanter Einklang in unsere Zeit hier – hello India!

Die Scheu lege ich in den vielen kommenden Massagen nach und nach ab, aber dennoch bleibt zwischendrin ein Gefühl zwischen Kolonialherr und Tutenchamun, wenn mich zwei Inder bei einer der vielen kommenden 4-Hand Massagen abklopfen und durchmassieren.

Nachmittags gibt es dann noch eine ayurvedische Nasenreinigung. Dabei bekommt man warmes, mit Gewürzen angereichertes Öl in die Nase geträufelt, welches anschließend bis in die letzte Nebenhöhle einmassiert wird und teilweise höllisch brennt. Das Gefühl in der Nase ist so zwischen Schnupftabak und leichtem Chiliöl und riecht nach indischen Kräutern und Gewürzen, aber irgendwie auch nach alter Socke gemischt mit verdorbener Milch.

Tagsüber ist Zeit, sich mit der Ayurveda Medizin zu beschäftigen. Nachdem ich mit der kinesiologischen Ernährungsumstellung vor ein paar Jahren bereits so gut wie alle meine Allergien loswerden konnte, steh ich solchen Dingen grundsätzlich aufgeschlossener gegenüber als früher. Die Hauptidee dahinter ist, dass alles mit den fünf Grundelementen Luft, Feuer, Wasser, Erde und Äther zusammenhängt die in den drei s.g. Doshas namens Vattha, Pitha und Kappha dargestellt sind. Jeder Mensch hat dummerweise eine angeborene Unausgeglichenheit, die durch die Lebensumstände noch weiter ins Ungleichgewicht fallen kann. Dieses Missverhältnis sorgt dann für Krankheiten, seelische Unausgeglichenheit, Antriebslosigkeit und was einem halt sonst noch so seine Glücklichkeit vermiesen kann.

Die Kur selbst läuft dann in drei Phasen ab. Nachdem der eigene Typ des Tridoshas vom Arzt festgestellt wurde, wird eine Medikation und Behandlung festgelegt. Neben den beiden Treatments gibt es zu jedem Essen auf Kräutern basierte Medikamente. In der ersten Phase werden damit angeblich die Toxine im Körper gelöst. In der ersten Woche müssen wir uns daher morgens jeweils ein Glas „medicated Ghee“ reinkippen. Das ist eine mit Medikamenten angereicherte, ausgekochte Butterlösung, die alles andere als lecker schmeckt. Vor allem für Jasmin wird es zunehmend eine immer grössere Herausforderung, das widerliche Zeug runter zubekommen. Nach einer Woche wird dann die eigentliche Entgiftung mit Abführmitteln ausgelöst. In der restlichen Zeit wird dann die Darmflora wieder aufgebaut. Die weiteren vier bis sechs Wochen nach der Kur soll man noch sehr auf die Ernährung und seine Gewohnheiten achten, danach soll der heilende Effekt für die nächsten paar Jahre anhalten.

In den nächsten Wochen werden wir jedenfalls von allen Seiten durchgeknetet, bekommen mit heißen kräutergefüllten Kissen Stempelmassagen, werden mit Kräuterpuder, Reis und den verschiedensten Ölen durchmassiert, bekommen Öl in alle Öffnungen und werden durch und durch entgiftet. Während all der Zeit gibt es fast immer gutes, ayurvedisches Vegi-Essen, was uns vom Koch persönlich auch bei stärkstem Monsunregen aufs Zimmer geliefert wird..

Eine der interessantesten Behandlungen sind die Stirngüsse. Dabei wird einem heiße, mit Medizin versetzte Milch (oder später auch Öl), eine Dreiviertelstunde lang ganz langsam von links nach rechts über die Stirn gegossen. Irgendwelche Rezeptoren müssen auf den Stirnhöckern sitzen, denn nach wenigen Minuten fällt man wie hypnotisiert in den Halbschlaf. Wenn es richtig gemacht wird, hat es eine intensive Tiefenentspannung zur Folge.. Wenn dies aber durch Lärm gestört wird, kann es auch die gegenteilige Wirkung entfalten, wie wir später noch sehen werden.. Ab der zweiten Woche wird das Programm noch mit morgendlichen Yoga Stunden ergänzt. Man kann so eigentlich definitiv mal abschalten, seine Mitte suchen oder finden und die oft gejagte Entschleunigung des Lebens erfahren, die man als gestresster Westmensch so händeringend sucht.

Nur leider trübt erneut Lärm die Idylle. Denn anders als es auf der Homepage unseres Hospitals ist es nicht besonders „calm and quite“. Gleich von zwei Tempeln beschallen uns teilweise ab morgens um fünf und bis manchmal bis abends um elf die Muezzine und irgendwelche Tempelmusik. Die extrem vielen Krähen krächzen einem immer wieder aus dem Schlaf. Von allen Seiten her kläffen Hunde, bei dem vor allem der eine Hund nen mega psychischen Schaden zu haben scheint. Denn er bellt mit zwei abwechselnden Kläfflauten (einer hoch, einer tiefer) gerne mal 4h am Tag ohne Pause – und das jeden Tag. Ich muss mich zurückhalten, nicht zum Hundemörder zu werden. Aber das wäre ja alles noch irgendwie auszuhalten. Nur leider gibts da noch den grössten Ruhekiller: die Baustelle hinter unserem Häuschen. Denn unser super Arzt hat es wohl irgendwie versäumt, uns das mal vorab mitzuteilen. Als ob er nicht am besten wissen müsste, dass Ruhe ein essentieller Bestandteil so einer Kur ist..

Der Lärm macht uns in den Tagen echt zu schaffen, denn da man aufgrund der Termine am Vor- und Nachmittag nicht viel unternehmen kann, ist man so halbwegs an den Ort gefesselt. Wir sind stinkig und einige Diskussionen später, wird uns wenigstens ein kleiner Rabatt gewährt, der allerdings die fehlende Erholung kaum ausgleichen kann. Zu allem Überfluss entdeckt Jasmin in der dritten Woche im Schrank an unseren Rucksäcken Schimmel. Juhu, das hat‘s nun auch noch gebraucht. Wir verbringen einen halben Tag damit, alles mit Desinfektionsmittel abzureiben und in der Sonne zwischen den Monsunregengüssen zu trocknen.

Ob die Kur nach alldem die heilende Wirkung entfaltet, die sie haben soll, werden wir wohl erst in ein paar Wochen sehen. Zumindest sind die Minimalziele erreicht: wir haben quasi nicht geraucht und keinen Alkohol getrunken; ich hab abgenommen durch die vegetarische und sehr gesunde Ernährung; und ich bin dazu gekommen, die Fotos und Bericht der Mongolei zu beenden.

Neben unseren Treatments unternehmen wir nicht viel. Hin und wieder fahren wir an den berühmten schwarzen Strand des Kovallam Beaches um dort einen Ginger-Lemon Tee zu trinken, einen leckeren ayurvedischen Kokos-Reisbrei zu schlürfen, während die grossen Wellen den einsamen Surfer sanft über den Horizont schaukeln.


Bei den Ausflügen in die laute, geschäftige Ladenstraße freunden wir uns mit den immer lachenden Kids der Nachbarschaft an, denen wir am letzten Tag noch mit einer Tüte Spielzeuge und Schokolade ein dickes Lächeln auf ihre Gesichter zaubern.

An einem der abendlichen Spaziergänge überrascht uns die immense Fauna Indiens. Innerhalb einer halben Stunde entdecken wir, bewaffnet mit der Stirnlampe, in einem Umkreis von ein paar Metern die verschiedensten Tiere: eine Horde Glühwürmchen, die fast wie eine Weihnachtsbeleuchtung in den Kokospalmen aufblitzen, braune wuselige Kakerlaken, eine Ratte im Abwasserkanal, ein paar grüne Gottesanbeterinnen, verschiedenste Spinnen, auf Ästen chillende Batagamen, rot gemusterte Frösche, behaarte Raupen, grellgrüne Grashüpfer und verschiedene Schneckenarten.. In dem Klima scheint das Leben nur so zu blühen.



Am Abreisetag sind wir dennoch froh, dass die Kur vorbei ist und wir ab jetzt endlich ganz auf eigene Faust und ohne festgelegten Plan weiterreisen werden. Was wir bisher von Indien gesehen haben, hat uns viel besser gefallen als wir es erwartet hatten. Daher entschließen wir uns, statt nach Sri Lanka doch noch eine Weile durch den Süden Indiens zu reisen. Den nächsten Abschnitt organisiert Jasmin diesmal alleine und ich lasse mich überraschen, wo es als nächstes hingeht.

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